Nagib Machfus

Nagib Machfus

Nagib Machfus, geboren 1911 in Kairo, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur. Nagib Machfus starb 2006 im Alter von 94 Jahren in Kairo.

Ausführliche Biografie

Nagib Machfus wird am 11. Dezember 1911 als jüngstes von sieben Kindern eines kleinen Regierungsbeamten im Stadtteil Gamalija, einem der ältesten Viertel von Kairo, geboren. 1924 zieht die Familie in das neu erbaute Viertel Abbassija außerhalb der Altstadt, in dem sich vorwiegend Ägypter aus dem Mittelstand ansiedeln. Für Machfus, der abgesehen von Reisen nach Alexandria sein ganzes Leben in Kairo verbracht hat, ist die Altstadt nicht nur Ort seiner Kindheit, sondern auch Schauplatz fast aller seiner Romane; hier, im Kleinbürgermilieu, spiegelt sich für ihn Ägypten, ja die ganze Welt.

Als Kind lernt er die altägyptische Kultur durch Museumsbesuche kennen, später geht er, der zu Hause wenig intellektuelle Anregung erhält, regelmäßig in Kinovorstellungen. Den Kinobesuchen entspringen erste Schreibversuche. Ernsthaft zu schreiben und in Zeitschriften zu veröffentlichen, beginnt Machfus während seines Philosophiestudiums (1930–1934). Doch die schriftstellerische Arbeit bleibt Nebenbeschäftigung, denn nach Abschluss des Studiums schlägt er eine Beamtenlaufbahn ein, zunächst in der Verwaltung der Universität und im Ministerium für »Religiöse Stiftungen«, dann, ab 1953 bis zu seiner Pensionierung 1971, im Bildungsministerium, wo er Aufgaben hauptsächlich im Filmbereich wahrnimmt.

Seine ersten drei Romane, zwischen 1939 und 1944 erschienen, sind in der Zeit der Pharaonen angesiedelt und zeugen von einer Strömung jener Jahre, die die ägyptische Identität in der Rückbesinnung auf das Alte Ägypten suchte. Die Form des historischen Romans erlaubt es ihm zudem, die Zensur zu umgehen; Bezüge zur Gegenwart sind ihm wichtiger als historische Genauigkeit. Und noch etwas zeichnet diese ersten Werke aus: In den Dreißigerjahren war der Roman als Gattung in der arabischen Literatur immer noch Neuland, nachdem 1914 der erste Roman in arabischer Sprache erschienen war. Machfus widmet sein ganzes Schaffen dieser Form, bringt sie zur Blüte und erschließt eine Vielzahl an neuen Ausdrucksmöglichkeiten für die arabische Literatur.

Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, der Zerfall der Monarchie, die sich zuspitzenden sozialen Gegensätze und die Hoffnung auf Befreiung vom britischen Kolonialsystem lassen Machfus seinen ursprünglichen Plan, die Geschichte der Pharaonen in vierzig Romanen darzustellen, aufgeben zugunsten einer literarischen Gestaltung des Kairoer Alltags der Gegenwart. Abschluss und Höhepunkt der realistischen Phase, in der auch die Romane Die Midaq-Gasse und Anfang und Ende entstehen, ist die Kairo-Trilogie, die das Schicksal einer Kaufmannsfamilie über drei Generationen verfolgt. Ihre Veröffentlichung 1956/57 macht ihn auf einen Schlag zu einem der führenden Schriftsteller der arabischen Welt. Die neue Regierung unter Nasser, dem er zunächst abwartend gegenübersteht, zeichnet ihn mit dem Staatspreis für Literatur aus.

Die Kairo-Trilogie schließt Machfus kurz vor der Revolution 1952 ab. 1954 heiratet er Atijatallah Ibrahim. Der Ehe entstammen zwei Töchter. In den folgenden Jahren, einer Zeit der politischen und sozialen Umwälzungen in Ägypten, entstehen keine neuen literarischen Werke. Machfus wendet sich vielmehr dem Film zu, seinem zweiten künstlerischen Schwerpunkt. Seine Bedeutung für das ägyptische Filmschaffen darf nicht unterschätzt werden: Für rund fünfundzwanzig Filme schrieb er entweder das Drehbuch oder lieferte die Filmidee, zudem wurden viele seiner Romane ohne seine direkte Beteiligung verfilmt.

Sein nächster Roman, Die Kinder unseres Viertels, wird 1959 in der ägyptischen Staatszeitung Al-Ahram abgedruckt. Die Entrüstung der konservativen islamischen Kreise über diesen Roman schlägt bis heute hohe Wellen. Er konnte erst 1967 in Beirut in Buchform veröffentlicht werden und ist in vielen arabischen Staaten verboten.

Die Sechzigerjahre, bis 1967, bedeuten eine neue Phase in Machfus’ Werk. Themen wie Entfremdung und Lebensenttäuschung treten in den Vordergrund, der Ton ist zunehmend pessimistisch. Romane wie Miramar, Der Rausch und Der Dieb und die Hunde entstehen in dieser Zeit. Machfus erschließt sich neue literarische Darstellungsmittel: Das Zurücktreten des auktorialen Erzählers, wechselnde Erzählperspektiven, innere Monologe, das Verschwimmen von Wirklichkeit, Traum und Vision kennzeichnen den neuen Erzählstil.

Neben der Julirevolution 1952 bedeutet auch der verlorene Krieg gegen Israel 1967 einen Wendepunkt in Machfus’ Leben und beeinflusst sein literarisches Schaffen nachhaltig. Dabei nimmt er nie direkt politisch Stellung. Vielmehr setzt er sich mit den Veränderungen der ägyptischen Gesellschaft auseinander, mit Opportunismus, Karrierismus und dem Gefühl der Machtlosigkeit des Individuums.

Die Pensionierung 1971 erlaubt es ihm, sich endlich ganz dem Schreiben zu widmen, neue Werke entstehen in rascher Folge und zeigen wiederum eine Erweiterung des Erzählstils. Er greift zurück auf die Tradition islamischer Mystik, auf volkstümliche Geschichten und klassische Reiseliteratur; viele Werke sind auch symbolisch bzw. allegorisch zu lesen. Es entstehen Die Reise des Ibn Fattuma, Die Nacht der Tausend Nächte, Echnaton und Der letzte Tag des Präsidenten.

Nachdem er im Lauf der Jahre die höchsten ägyptischen Auszeichnungen für seine Romane und kulturellen Verdienste erhalten hat, wird Nagib Machfus 1988 als erstem arabischen Autor der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sein Werk umfasst rund vierzig Romane und über hundert Erzählungen sowie Drehbücher, Theaterstücke und mehr als zweihundert Artikel.

1994 wird Machfus bei einem Attentat durch religiöse Fanatiker schwer verletzt. Trotzdem äußert er sich in den folgenden Jahren zum Zeitgeschehen, zum Beispiel in seiner wöchentlichen Kolumne in Al-Ahram; seine Stimme hat nichts von ihrer Autorität in der arabischen Welt verloren.

Am 30. August 2006 stirbt Nagib Machfus nach kurzer Krankheit in Kairo.

Stimmen

»Der totgesagte realistische Roman erweist sich bei Machfus wieder einmal als äußerst lebendig.«

Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Machfus ist nicht nur ein scharfsichtiger Beobachter großer gesellschaftlicher Prozesse. Er versteht es ebenso hervorragend, spannend und farbig zu erzählen.«

Berner Zeitung

»Die unglaubliche Vielfalt von Nagib Machfus’ Werk verblüfft nach wie vor.«

Washington Post

»Die islamische Welt scheint zu explodieren wie vor 1200 Jahren. Wir werden uns nolens volens mit ihr und ihrer Kultur zu befassen haben. Wer’s noch nicht getan hat, könnte bei Machfus beginnen.«

Die Presse

»An Nagib Machfus kommt bis jetzt noch kein arabischer Schriftsteller, keine arabische Schriftstellerin vorbei, ganz besonders nicht in Ägypten. Nicht nur seine Figuren sind, zumal durch zahlreiche Verfilmungen so ›klassisch‹ geworden wie K., wie Effi Briest, wie Oskar Matzerath. Auch sein vielfach assoziativer Stil und sein Umgang mit Genres der Prosaliteratur sind inzwischen Marksteine im arabischen Schreiben. Kein anderer arabischer Schriftsteller ist in gleicher Weise Chronist seines Landes und Volkes geworden wie Nagib Machfus. Kein Handbuch über diese Zeit kann zum Verständnis der Gesellschaft am Nil die Lektüre von Machfus’ Romanen ersetzen.«

Hartmut Fähndrich, Neue Zürcher Zeitung  Online einsehen

»Nagib Machfus ist ein tiefsinniger Sozialkritiker und Historiker, genauso wie ein leichtfüßiger Erzähler seiner oft düsteren ägyptischen Geschichten. Er ist Impressionist und Surrealist zugleich. Nagib Machfus ist ein ägyptischer Dickens, ein Balzac und Camus, ein Graham Greene und Thomas Mann, ein Victor Hugo und Emile Zola in einem.«

Österreichischer Rundfunk FM 4, Wien

»Es war das genuine Interesse am Gegenüber, das Nagib Machfus über vierzig Romane, mehr als dreihundert Kurzgeschichten, Zeitungsartikel, Drehbücher und Theaterstücke schreiben ließ. Er wandte sich ganz normalen Menschen in den alten Quartieren Kairos zu. Geschichten aus engen Gassen weitete er zu Weltliteratur.«

Susanna Petrin, Neue Zürcher Zeitung  Online einsehen

»Es gehört zu Machfus’ Kunst, dass er Distanz zu seinen Figuren hält und sie doch dem Leser nahebringt, dass er ihren Alltag und ihre Umgebung farbig beschreibt, ohne in exotischen oder orientalischen Mode-Firlefanz zu verfallen.«

Kölner Stadtanzeiger

»Es sind die Unterschiede, die Machfus’ Bücher vor allem interessant machen. Unterschiede, wie die allgegenwärtige Korruption, Gewalt und die existenzielle Bedrohung durch Armut und Elend, die ein tieferes Verständnis für die gegenwärtigen Umbrüche, die Widersprüche und Schwierigkeiten in Ägypten ermöglichen. Bücher, die die Wünsche, das Denken und die Gefühle von Menschen einer anderen Kultur dem Leser auf unterhaltsame Weise vermitteln.«

Joel Fokke, Die Zeit  Online einsehen

»Machfus hat die literarische Gattung Roman in der arabischen Kultur heimisch gemacht; er hat gezeigt, dass große Literatur politisch sein kann.«

Gegenwart

»Niemand kennt Ägypten und seine die Zeiten überdauernden Eigenheiten besser als Nagib Machfus – der berühmteste Schriftsteller des Landes und Nobelpreisträger. In seinem Buch ›Vor dem Thron‹, das erstmals 1983 erschien und bislang nicht ins Deutsche übersetzt worden ist, schreibt er gut 18 Jahre vor der Revolution vom 25. Januar: ›Wir haben Qualen durchlitten, die über das hinausgehen, was ein Mensch aushalten kann. Als unser Zorn erwachte und sich gegen die dunklen Kräfte der Fäulnis und der Unterdrückung erhob, schimpften sie uns Diebe und nannten unsere Revolte Chaos. Doch es war nichts als eine Revolution gegen den Despotismus, und die Götter hatten sie gesegnet.‹«

Süddeutsche Zeitung

»Vierzig Jahre sind vergangen, seit ich meinen Meister Machfus kennenlernte. Sicher, die Erwartungen unseres Nachbarn Kadem habe ich enttäuscht, denn ich schloss mich keiner Partei oder Ideologie an. Aber wäre es vorstellbar gewesen, dass ich der Romanautor geworden wäre, der ich heute bin, ohne dass ich den Klassiker Machfus gelesen und von ihm gelernt hätte?«

Najem Wali, Die Welt  Online einsehen

»Nagib Machfus ist ein Meister der Tragikomödie und wechselt zudem ständig die Perspektive und den Rhythmus des Erzählens.«

Berliner Zeitung

»Ein Dickens des Kairoer Kaffeehauses.«

Newsweek

»Nagib Machfus ist nicht nur ein Victor Hugo und ein Charles Dickens, ebenso ist er ein John Galsworthy, ein Thomas Mann, ein Émile Zola und ein Jules Romains.«

Edward Said

»Der größte Schriftsteller in einer der weitverbreitetsten Sprachen der Welt, ein erstklassiger Geschichtenerzähler in jedem Idiom.«

Vanity Fair

Nachrichten

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    Werke von Nagib Machfus

    Cover
    Über den Aufbruch der ägyptischen Jugend
    Cover
    »Mit einer unerschöpflichen, augenzwinkernden Fabulierkunst mischt Machfus Fantastisches mit Profanem.« Regina Karachouli, Sächsische Zeitung
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    »Packende Dialoge, ein fundierter Einblick in die ägyptische Gesellschaft und eine Innenschau in die Seelenlage der Menschen, deren Ideale und Schwächen.« Special to Review
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    »Träume sind eine Realität, in der die Grenzen des Alltäglichen nicht mehr existieren.« Nagib Machfus
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    Die schöne Kurtisane Radubis, von der schon Herodot berichtete, wird in Nagib Machfus’ Roman zur zentralen Figur in einem groß angelegten Panorama des alten Ägypten.
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    Eine vergangene Welt wird lebendig mit ihren Palästen und Tempeln, Priestern und Sklavinnen, Handwerkern und Beduinen.
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    Eine abenteuerliche Reise zum Ende der Welt und eine Reise zum eigenen Selbst. Machfus nimmt sich die großen Reisenden aus der Blütezeit des Islam zum Vorbild für Ibn Fattumas Entdeckung ganz und gar heutiger Lebensentwürfe und Utopien.
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    »Was geht dich das alles an? Warum sitzt du hier herum und hörst Dir Dinge an, die dich einen Dreck kümmern?«
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    Ein farbenprächtiges Kaleidoskop, in dem eine ganze Epoche und ihre Menschen lebendig werden.
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    »Mit wunderbar leichter Hand geschrieben – wie sie nur wenige Autoren auf dem Gipfel ihrer Meisterschaft erlangen.« Freitag
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    »Zwischen Himmel und Erde, zwischen Gold und Dornen gibt es zahlreiche Wege.« Nagib Machfus
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    »Gewiss ist dieses Alterswerk auch als ein Credo des ägyptischen Nobelpreisträgers zu lesen, der als Achtzigjähriger bekannte, er spüre, dass die Grundlage seines Lebens auf Erden einzig die Liebe war.« Sächsische Zeitung
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    »Mit der Weisheit des Alters und einer unerschlöpflichen, augenzwinkernden Fabulierkunst mischt Machfus Phantastisches mit Profanem.« Regina Karachouli, Sächsische Zeitung
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    »Wer dieses Werk liest, wird mit Vergnügen und Dankbarkeit Erkenntnis finden - durch etwas, das als wunderlicher Anachronismus gilt: Weisheit. Machfus besitzt sie.« Nadine Gordimer
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    Die drei Bände der Kairoer Trilogie: »Der Baedeker zu Ägyptens Seele.« Newsweek
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    »Pflichtlektüre nicht nur für Amtsstuben!« Dresdner Neueste Nachrichten
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    »Als ich begann, Romane zu schreiben, hielt ich die europäische Form des Romans für unantastbar. Aber man wird älter und sieht die Dinge anders. Und man sucht nach einem eigenen Ton, ganz tief in sich selbst.« Nagib Machfus
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    Der dritte Band der Kairo-Trilogie: »Reich die Zusammenhänge der religiös-sozialen Lebensabläufe, tief die einfließende Psychologie, modern der trotzig aufbegehrende innere Monolog, lebendig Licht und Schatten.« Die Presse, Wien
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    »Nagib Machfus’ Novellen sind wie Klangproben, manchmal auch wie eine Fermata, wie ein Anlauf auf ein neues Orchesterwerk, auf einen neuen Roman.« Neue Zürcher Zeitung
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    Der zweite Band der Kairo-Trilogie: »Nirgends zuvor hat sich ein arabischer Autor mit soviel Selbstironie an Sentimentales gewagt, mit soviel Augenzwinkern und derber Komik, Lust und Gier beschrieben.« Berliner Zeitung
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    »In seinem allegorischen Realismus stellt das Buch eine scharfe Anklage dar gegen die geistigen Verführer, die aufwiegeln, statt aufzuklären, und dann zu Verrätern werden.« Frankfurter Rundschau
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    Der erste Band der Kairoer Trilogie: »Der Baedeker zu Ägyptens Seele.« Newsweek
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    »Es ist nicht unbedingt die Norm, dass eine Rezensentin bei dem Werk eines Nobelpreisträgers zuerst die rechte und dann erst die linke Seite liest, weil sie es nicht aushalten kann vor Spannung.« Schweizer Bibliotheksdienst
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    »Über kein anderes Buch ist so viel Tinte geflossen wie über diese Parabel, die jahrzehntelang Kontroversen und leidenschaftliche Debatten ausgelöst hat.« Süddeutsche Zeitung
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    »Die sensibel geschilderten Protagonisten des Romans vermitteln mehr Erkenntnisse über den Zustand Ägyptens als Hunderte von Artikeln und Fernseh-Dokumentationen es je vermochten.« Süddeutsche Zeitung, Stuttgart
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    »Die Gasse ist für mich das Symbol für die ganze Welt, und je nachdem, wie ich sie haben wollte, habe ich sie geformt.« Nagib Machfus
    Cover
    »Ich würde gern zur jungen Generation gehören, nicht weil ich glaube, dass sie es weniger schwer hat als wir damals, sondern weil sie viele der Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt hat, die uns unser Leben vergällten.« Nagib Machfus