»Mein Umzug nach Barcelona schaffte Distanz zu Argentinien. Das war für mich sehr wichtig, um mich von einer Last zu befreien. Abstand hilft, wenn man Schlimmes erlebt hat. Dass ich allerdings so viel zu Papier bringe, hatte ich mir nicht erhofft. Das Glück meinte es gut mit mir.«
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»Über meine Zeit in der Gefangenschaft spreche ich nicht gern, denn es ist nicht dasselbe, ob man als normaler Häftling oder als politischer Gefangener sitzt. Ich galt als Marxist und kam in die Todeszelle, weil ich als unbeugsam und nicht heilbar eingestuft wurde. Mein Hinrichtungsdatum stand bereits fest. In dieser Situation setzt du dich mit dir selbst auseinander, du beginnst, dich zu fragen, wer du bist, wer du warst. Ich glaube, diese Fragen finden sich in allen meinen Büchern wieder.«
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»Fiktion oder Autobiografie? Ich glaube, es ist nicht möglich, von einem Ort zu schreiben, der nicht dein eigener ist. Man schreibt von etwas, das man sieht, hört, träumt oder sich vorstellt. Das alles sind die Bausteine, mit denen der Autor seine Geschichten konstruiert. Mich reizt die Fiktion, reine Erfahrungsbücher überlasse ich den andern. Fiktion ermöglicht eine ganz neue Perspektive, sie zeigt auf, was vielleicht noch nicht bewiesen ist, aber durchaus geschehen könnte. Das ist meine Ausgangslage. Wenn mich ein Thema nicht mehr loslässt, wenn die Seele der Geschichte gefunden ist, weiß ich plötzlich, wie ich die Geschichte erzählen muss. Ich beginne zu spielen, zu schreiben. Ich erstelle nie ein Konzept.«
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»Auch bei Chamäleon Cacho gab es keinen Schreibplan, selbst wenn dies kaum zu glauben ist. Das Ende stand natürlich fest, jeder Roman braucht ein Ende. Doch das Genre des Noir ist trügerisch, denn es setzt den Fokus mehr auf das Warum als auf das Wer oder Was. Im Gegensatz zum Kriminalroman liegt die Verwirrung des Noir darin, dass die Struktur nicht zur Auflösung eines Rätsels führt, sondern vielmehr neue Fragen aufwirft. Borges unterschied zwischen dem Kriminalroman und dem Noir folgendermaßen: Im ersten steht das Chaos für die Verletzung der Ordnung; der Detektiv löst den Fall und stellt die Ordnung wieder her. Im Noir hingegen treffen der Detektiv und auch der Leser unter dem Chaos auf ein weiteres Chaos. Es gibt keine Antworten, nur noch mehr Fragen. Dadurch täuscht die Struktur des Noir den Leser, denn sie hält ihn fest, damit er sich Fragen stellt, und nicht, damit er Antworten findet.
Bei Chamäleon Cacho habe ich mich bewusst für einen kurzen Roman entschieden, um zu verhindern, dass der Leser das Buch aus der Hand legt oder nicht mehr fühlt, was da passiert. Der ›Faustschlag‹ dient letztlich dazu, den Leser zum Weiterdenken zu bewegen. Selbst ich denke noch viel über diesen Roman nach.«
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»Ich berichte gern indirekt, aus der Peripherie, beispielsweise aus Patagonien, einer Region, die ihrerseits Unterdrückung erfahren hat. In Chamäleon Cacho erzähle ich zum Beispiel von einer Gruppe Mapuche, die ihre ganze Kultur verloren hat und seit Jahren am Rande steht. Aber auch diese Gruppe ist Teil des Ganzen. Aus der Peripherie zu schreiben, scheint mir erzählerisch sehr viel reicher. Es bietet mir mehr Spielraum, physisch wie existenziell, um meine Figuren zu beschreiben.«
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»Den Roman Chamäleon Cacho aus der Sicht eines Täters und nicht aus der des Opfers zu schreiben, schien mir notwendig. Wenn man sich Folterer vorstellt, denkt man unweigerlich an Wesen einer anderen Spezies, an Psychopaten oder Außerirdische womöglich. Die Tatsache, dass sie wie wir sind, verschlimmert noch, was sie tun. Darum frage ich: Sind wir tatsächlich so anders als sie? Wir meinen, Engel, gut zu sein, doch wenn plötzlich ein Vater in einem Tobsuchtsanfall seinen Sohn erschlägt, wie weit ist er dann von diesen Folterern entfernt? Ich lasse diese Frage offen, denn noch habe ich keine Antwort darauf gefunden. Die Hölle ist viel näher, als wir meinen. Manchmal sollte jeder von uns sich in das hineinversetzen, was er niemals sein möchte. Der Noir hat mir ermöglicht, diese Figuren zu beschreiben, eine Art Negativspiegel zu schaffen, dreckig und schwarz, in den man einen Blick werfen und seine dunklen Seiten sehen kann.«
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»Die Frage nach Gut und Böse ist eine moralische Frage, wie sie im Christentum und im Judentum häufig gestellt wird. Meiner Ansicht nach sind Gut und Böse grundsätzlich austauschbar: Es kommt immer auf die Sichtweise an. Die Personen des Romans führen uns ständig vor Augen, wie nah sich diese beiden Kategorien doch stehen. Manche Leser tendieren dazu, sich mit den guten, den schönen Charakteren zu identifizieren. Andere hingegen bevorzugen komplexere Gestalten, in die man sich weniger gut einfühlen kann und die uns dazu bringen, über Gut und Böse nachzudenken. Genau das möchte ich mit diesem Buch erreichen, ich möchte den Leser an den Punkt bringen, an dem diese Kategorien ineinander übergehen.«
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»Literatur ist für mich ein Mittel, Geister und Obsessionen auszutreiben. Durch das Schreiben kann ich sie zwar nicht beherrschen, doch immerhin schaffe ich es, ihnen ins Auge zu schauen. Und ich vermute, auch dem Leser kann es so ergehen.«
Aus Interviews mit Raúl Argemí, geführt von Michele De Mieri, L’UnitB, und Giulia Gadaleta, TrackBack.