Liebe Leserin
Lieber Leser
Am 28. Dezember ziehen wir um. Nach 25 Jahren im schönen Haus mit dem geräumigen Keller ist das leicht gesagt und schwer getan. Ungeahnte Schätze und stupender Schrott kommen ans Tageslicht. Was wegschmeißen? Was mitnehmen? Manchmal werden in der Runde die Köpfchen heiß bei der Frage ob ins Töpfchen oder ins Kröpfchen.
Mit leisem Lächeln wird liquidiert: Ein Dutzend steinharte Fixogum Rubber Cement-Fläschchen. Der Notvorrat an 5 1/4 und 3 1/2 Zoll Disketten. Vorsintflutliche Klebetikettenformate. Zwölferlei Farbbänder für ausgestorbene Nadeldrucker. Selbstdurchschreibendes Durchschlagpapier. Angebrauchte Letraset-Bögen für die Vorschau der Jahre 1975–1979. Verdampfter Wodka von sowjetischen Besuchern. Vorgedruckte Laufzettel für den Buchhandel.
Infolge Ewigkeitswert wird eingepackt und eingeschreint: Die Sammlung aller Buchmesse-Standbücher seit 1981. Der DDR-Wimpel »Vorbildliches Kollektiv – Beste Einheit«. Die ausgerissene Zeitungsschlagzeile: »Pfusch ist, wenn man hofft, es werde schon klappen.« Das einbalsamierte Krokodil aus Kairo. Der Telefonbeantworter aus den Achtzigerjahren samt allen archivierten Botschaften der Epoche auf Minikassetten. Die komplette Laptop-Sammlung seit es tragbare Computer gibt. Alle Autorengeschenke von Juri Rytchëus geschnitztem Walrosszahn bis Yaşar Kemals Zauberamulett gegen den Bösen Blick.
Aber: Wohin mit der Encyclopædia Britannica? Brehms Tierleben. Meyers Konversations-Lexikon 1874 und 1910. Kindlers einst »Neues Literaturlexikon«. Der Laufmeter von Duden-Bänden mit der jedesmal anders einzig richtigen Rechtschreibung. Propyläen Weltgeschichte. Leopold von Rankes »Sämtliche Werke«. In diesen Tagen scheinen sie obsolet. Was davon hat Zukunftswert wie die Sammlung von Micky-Maus-Heften aus des Verlegers Kinderzeit, die heute 4-stellig gehandelt wird? Das ist die dräuende Frage aller Platzfragen.
Bald kommt der große Tag, an dem 10 000 Blatt Briefpapier zu Makulatur werden. Es geht wieder in ein schönes Haus mit Stuck an der Decke. Last, Lust und Leid der Triage sind bald vergessen.
Nur den handschriftlichen Brief von Nagib Machfus von 1983, in dem er sich so freute, dass seine Bücher bei uns erscheinen, suchen wir noch verzweifelt. Seit einer Ausstellung in der Zentralbibliothek steckt er in einem verschollenen braunen Karton. Vielleicht haben Sie ihn gesehen?
Mit vielen Grüßen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess
P.S. Ab 3. Januar finden Sie uns an der Neptunstrasse 20